Just play! Claus Lippert: „Einige sitzen schon vorher mit dem ITN-Rechner da“
Wohl kaum ein Thema wird besonders im Breitensport im Tennis intensiver und teilweise hitziger diskutiert als die mitunter polarisierende ITN-Thematik (der Spielstärkenmesser „International Tennis Number“, der etwa zur Setzung bei nationalen Turnieren oder zur Aufstellung in der Meisterschaft verwendet wird; genauere Informationen dazu gibt es hier). Oftmals gerät hierbei in Vergessenheit oder aus dem Fokus, weshalb wir alle den Tennissport betreiben und lieben (sollten): aus gesundheitlichen Gründen, aus Spaß und Freude am Wettkampf, wegen des sozialen Faktors und der Geselligkeit etc.
Mit einer neuen Interviewserie möchte der ÖTV diese (ge)wichtigen Argumente wieder in den Vordergrund rücken und die TennisspielerInnen im Lande ermutigen, ohne Angst vor einer Verschlechterung des Spielstärkewerts und zu vielen Gedanken an den ITN wieder verstärkt den Tennisplatz zu betreten – gerade jetzt zum Saisonbeginn. Im zweiten Teil der Serie namens „Just play!“ erzählt Claus Lippert von seinen Eindrücken, wie sehr sich die SpielerInnen bei den Turnieren mit dem Thema ITN beschäftigen – in Ausmaßen, die sie selbst stark hemmen. Lippert beobachtet all dies fast alltäglich aus der ersten Reihe fußfrei: Er ist der Begründer und Organisator der Hobbytennistour (in weiterer Folge HTT genannt), der größten Breitensport-Turnierserie Österreichs, die bereits seit dem Jahre 1990 besteht und vor allem aus Ostösterreich längst nicht mehr wegzudenken ist – mit beinahe allwöchentlich stattfindenden ITN-Turnieren für alle Spielklassen und enormen, Lippert zuzuschreibenden Verdiensten rund um den heimischen Tennissport.
Claus, niemand in ganz Österreich leitet alljährlich mehr Turniere als du. Wie viele der Fragen, die dir als Turnierleiter gestellt werden, drehen sich dabei um ITN?
Claus Lippert: Es sind so an die 20 bis 30 Fragen darüber pro Turniertag, schätze ich. Es kommt immer ganz auf das Turnier an. Bei Turnieren mit schwächeren SpielerInnen sind Fragen dazu häufiger, weil ITN für diese enorm wichtig ist. Die stärkeren SpielerInnen legen darauf hingegen nicht so viel Wert.
Wie oft resultieren aus diesen Fragen ausschweifende Diskussionen oder sogar Streits?
Diskussionen gibt es ständig. Nicht nur mit mir persönlich, untereinander wird von den SpielerInnen natürlich auch diskutiert – rund um den Turnierleitertisch, abseits davon. Streitigkeiten gibt es dabei eigentlich nie. Es dreht sich zumeist eher um Enttäuschung oder Unverständnis, dass viele Dinge passieren, die nicht passieren müssten. Man muss natürlich auch mit einrechnen, dass viele SpielerInnen nach einer Niederlage generell enttäuscht sind. Nicht selten legen sie dann gleich los: „Warum ist mein Gegner denn so eingestuft? Der ist doch eigentlich viel besser. Wie viel kostet mich das jetzt im ITN?“
Woran, denkst du, liegt es, dass viele Leute so ITN-verrückt sind?
Daran, dass ITN wichtig gemacht wurde. Für viele ist es einfach Prestige. So wie im Golf, was man für ein Handicap hat. Viele brauchen den ITN wegen der Meisterschaft, diesen Faktor darf man auch nicht unterschätzen. Wenn man ein Match verliert, rutscht man vielleicht in eine andere Mannschaft, spielt dann vielleicht gleich zwei Klassen tiefer und hat nicht mehr die Matches, die man eigentlich haben möchte.
Wie erlebst du das bei den Turnieren? Spielen sich kleine Dramen auf den Plätzen ab?
Auf den Plätzen weniger. Das geschieht eher nach dem Spiel, manchmal aber auch vorm Match. Bei einigen SpielerInnen kommt mir vor, sie warten auf die Auslosung und sitzen schon vorher mit dem ITN-Rechner da. Erst mal fragen sich viele vorab: „Was kann mich das wieder kosten, wenn ich das verliere?“. Die SpielerInnen beschäftigen sich einfach viel damit.
Wie stark hemmt das ITN-Denken die SpielerInnen in ihrer Performance auf dem Platz?
Ich glaube, es hemmt die Meisten, aber nicht jeder checkt es, weil die Wenigsten noch frei Tennisspielen – weil sie nur noch mit diesen Themen beschäftigt sind: „Hoffentlich verliere ich nicht.“ „Was kostet mich das?“. Was es tatsächlich mit ihrem Tennis macht, dessen sind sich viele nicht bewusst. Was eigentlich schade ist.
Wie versuchst du selbst, diesem ITN-Wahn mancher entgegenzuwirken?
In ganz, ganz vielen Gesprächen. Wer mich kennt, der weiß es: Ich befasse mich mit den SpielerInnen auch vorher und nachher. Sie erzählen mir viel: Warum die Vorhand gerade nicht passt. Warum das Match wie verlaufen ist. Wie ihre Form ist. Und besonders oft wird eben über ITN gesprochen. Ich erkläre ihnen dazu: Sie sollen einfach versuchen, sich auf ihr Tennis zu konzentrieren, aufs Spielen – dann kommt der ITN eh von allein.
Persönlich bezeichnest du dich stets als Freund von ITN – trotz einiger Kritikpunkte. Wo beobachtest du denn persönlich noch Schwächen?
Besonders gleich dort, wo es für die SpielerInnen losgeht: bei der Ersteinstufung. Das ist aber wohl weniger eine Schwäche des Systems an sich als vielmehr eine der Beteiligten, die regelmäßig im und mit dem System arbeiten. Wir müssten es vor allem mal schaffen, in jedem Verein kompetente ITN-Administratoren zu finden, die sich wirklich auskennen. Dann hätten wir weniger Fehleinstufungen und dadurch auch weniger Probleme bei den Turnieren. Ich halte die Position des ITN-Administrators ja für eine extrem wichtige. Das muss jemand sein, der eine Ahnung hat, der engagiert ist – und nicht nur ein Passwort hat, um ein Meisterschaftsergebnis einzutragen. Jemand, der es auch verfolgt, wenn ein Spieler mal ersteingestuft ist. So wie das auch alle Turnierleiter tun sollten. Ich bemühe mich da auch darum. Man darf hier einfach nicht die Einstellung besitzen: „Der wird sich im ITN schon dorthin runterspielen, wo er hingehört.“ Ja, wird er – aber auf Kosten vieler anderer SpielerInnen. Wenn ein ITN nicht stimmt, kann man das gleich am nächsten Tag korrigieren. Das ist die Pflicht von allen, die mit der Meisterschaft und mit den Turnieren verbunden sind. Damit helfen wir den SpielerInnen – und damit dem Kunden.
Das wollen natürlich gerade auch wir im ÖTV. Darum befinden wir uns derzeit mit dir in guten Gesprächen darüber, wo der Schuh noch drückt und wie wir Probleme gemeinsam verbessern können. Nichtsdestotrotz ist die Einführung des ITN, die 2009 bundesweit erfolgt ist, eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Abgesehen von deiner jahrzehntelangen Aufbauarbeit: Zu welchem Teil siehst du den Erfolg der HTT auch auf ITN basierend?
Das hat für mich einen großen Anteil. Viele spielen Turniere auch nur wegen ITN, weil sie dort eben die Möglichkeit haben, sich zu verbessern.
Was kann jede/r SpielerIn aus deiner Sicht dennoch machen, um das Thema ITN ein wenig aus dem Kopf zu bringen?
Ehrlich gesagt, weiß ich es auch nicht so recht. Es ist schwierig. Ich denke, dass wir, die mit dem ITN arbeiten, und jene, die es in der Hand haben, das System zu verändern, den ersten Schritt machen müssen. Wenn wir’s schaffen sollten, das Thema auf einen Level zu bringen, sodass es nicht mehr oberste Priorität hat, wäre viel gewonnen. Vielleicht ist es auch ein Thema, bei dem die TrainerInnen in ihrer täglichen Arbeit einwirken können: „Versucht das umzusetzen, was ihr im Training gelernt hat. Der ITN ist nicht so wichtig, es geht um die Entwicklung.“ Das muss von allen Seiten vermittelt werden.
Wie viele bessere Gründe als jenen, ihren ITN zu verbessern, gibt es, warum die Leute auf die HTT kommen sollten?
Weil HTT spielen eine coole Sache ist. Du kannst Turniere in vielen unterschiedlichen Kategorien spielen. Du kannst dich darauf verlassen, dass all deine Terminprobleme – speziell am Wochenende – berücksichtigt werden. Du kannst andere Freizeitvergnügen oder Verpflichtungen wahrnehmen und trotzdem parallel ein Turnier spielen. Die HTT ist wie die ATP-Tour aufgebaut. Das taugt auch gerade den Jungen, etwa auf der Juniors-HTT Grand Slams zu spielen und zu gewinnen. Außerdem bietet die HTT eine lückenlose Statistik, immer wieder Liveticker, Livestreams, regelmäßige Berichterstattung auf der Website. Die HTT hebt sich hier von anderen ITN-Turnieren ab.
Auch bei den dazugehörigen Events und Preisen setzt du sicherlich sehr viele Anreize, die das Thema ITN in den Hintergrund rücken lassen.
Ja, die Liste der Vorzüge der HTT ist so umfangreich, dass man gar nicht alles aufzählen kann. (Lächelt) Seien es etwa Player’s Partys, Turniere in Kitzbühel, bei denen es in den letzten Jahren um ein Auto ging und heuer um bares Geld geht. Die Erste Bank Open der HTT, bei denen alle TeilnehmerInnen zwei Eintrittskarten fürs ATP-Turnier in der Wiener Stadthalle erhalten und alle ViertelfinalistInnen in den VIP-Club eingeladen werden. Die Teambewerbe kommen gleichfalls gut an. Bei diesen spielen wir ohne ITN, wodurch die SpielerInnen doch merklich befreiter aufspielen. Umso wichtiger ist es, dass wir’s in die Köpfe der SpielerInnen reinbekommen, dass der ITN nicht alles ist.
Was sind aktuell die Highlights der HTT und welche stehen als nächstes bevor?
Jetzt ist gerade die heiße Zeit im Generali Race to Kitzbühel, bei dem in ganz Österreich die Qualifikationsturniere gespielt werden. Die erfolgreichsten SpielerInnen dürfen dann bei den Generali Open Kitzbühel um 10.000 Euro spielen. Am übernächsten Wochenende startet die Sandplatzsaison, mit dem Höhepunkt der HTT French Open Ende Mai, Anfang Juni. Nach HTT Wimbledon, HTT US Open, HTT Laver Cup etc. folgen natürlich wieder die HTT Erste Bank Open, mit den Finalspielen im großen Zelt auf dem Heumarkt, wo wir im Vorjahr 200 ZuschauerInnen hatten und davor noch Alexander Erler und Lucas Miedler den Finaleinzug im Doppel geschafft haben. Die Spieler hatten dabei auch ihre eigenen Fanclubs mit. Das größte Highlight war aber das Tiebreak-Shoot-out bei den Generali Open Kitzbühel, bei dem zwei Amateurspieler das Finale vor ca. 6000 ZuschauerInnen gespielt haben. Das ist sicherlich ein Zuschauerrekord, so viele ZuseherInnen wird es wohl noch nie bei einem Hobbyspiel gegeben haben.
Du veranstaltest die HTT bereits seit 1990, hast bisher unglaubliche 1870 Turniere (!) abgewickelt. Was sind denn für dich, nach der langen Zeit, immer noch die schönsten Momente, die dich motivieren, weiterzumachen?
Wenn ich zufriedene SpielerInnen und glückliche SiegerInnen sehe. Mir persönlich gefällt es auch extrem, die Entwicklung der SpielerInnen zu sehen, speziell die der ganz jungen. Mittlerweile spielen bei mir jetzt schon die Töchter oder Söhne der Väter, die bei mir in den 90er- oder Nullerjahren einst auf der HTT aufgeschlagen haben. Es freut mich, wenn die SpielerInnen ins System der HTT hineinkippen und dort eine richtig gute Entwicklung nehmen. Das sind mittlerweile viele, oftmals starke JugendspielerInnen.
Abschließend: Hast du einen Appell an die Leute da draußen in Sachen ITN?
Ich würde den Leuten gern sagen, dass ich weiß, dass die Protagonisten im ÖTV wissen, worum es geht und sie die Probleme auch erkannt haben. Ich bin in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit immer als ITN-Oberkritiker wahrgenommen worden. Aber ich habe das Gefühl, dass man erkannt hat, wo die Problematiken liegen und dass man wirklich bemüht ist, diese Themen, Probleme und Baustellen, die ITN aufweist, in den Griff zu bekommen. Und wenn diese dann im Griff sind, soll jede/r versuchen, sich auf sein/ihr Tennis zu konzentrieren und einfach Spaß am Tennis zu haben. Dann wird es keinerlei Ablenkungen und Probleme durch ITN geben. Dann können manche Leute auch freier Tennisspielen. Und wenn’s mal schiefgeht, gibt’s immer ein nächstes Turnier, bei dem man das Malheur rasch korrigieren kann.
Hier geht es zu Teil 1 der ÖTV-Interviewreihe „Just play!“ mit Jürgen Melzer.